Ep. 212 Geburtshilfliche Anästhesie
- norbertaeppli
- vor 5 Tagen
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Hallo zusammen
Am12.11 fand wieder eine USZ-Fortbildung mit dem Thema: Sichere geburtshilfliche Anästhesie - Aktuelle Leitlinien und klinische Herausforderungen
Das Thema fügt sich sehr gut ins morgige Thema der Teamausbildung (Insuffiziente Analgesie während einer Sectio) -> PDF der morgigen Fortbildung
Hier wäre noch die Transkription mit Zusammenfassung:
Leitlinien-Landschaft Geburtshilfliche Anästhesie
Susanne Greve stellte relevante Leitlinien vor
Die S1 Leitlinie umfasst 144 Seiten und ist formal abgelaufen
Die neue Version befindet sich im Konsensverfahren und erscheint Ende des Jahres
Weitere Leitlinien: Peripartale Blutungen (mit Bleeding Cards), hypertensive Erkrankungen, Sectio (in Überarbeitung), vaginale Geburt am Termin (in Überarbeitung)
Intravasale Volumentherapie: Haes-Verwendung hat sich mehrfach verändert
Europäische ESAIC-Leitlinie zum Management fehlgeschlagener Epiduralverfahren und ESA Prospect Guidelines zur prozedurenspezifischen Schmerztherapie
Susanne Greve erläuterte das Konzept: Leitlinien sind kein Gebot, sondern ein Rahmen für ärztliches Handeln
Gutachter sehen sie als Mindeststandard in rechtlichen Auseinandersetzungen
Konkrete Dosierungen können justiziabel werden
Die Umfrage unter 700 Mitgliedern zwei Jahre nach Veröffentlichung zeigte unterschiedliche Nutzung
Von völliger Ablehnung bis zur Nutzung als Argument für Geräteausstattung
Wunsch nach konkreteren Dosierungsangaben
Spinalanalgesie im Gebärsaal (am KSF nicht durchgeführt)
Technik und Medikamentenkombinationen
Susanne Greve beschrieb die Spinalanalgesie als einfache Technik mit schneller Anschlagszeit
Nachteil: Keine Nachinjektionsmöglichkeit, begrenzte Wirkdauer
Medikamentenoptionen
Sufentanil Monotherapie beeinträchtigt fetale Herzfrequenz
Limit: Maximal 5 Mikrogramm intrathecal
Wirkdauer nur circa 1 Stunde
Kombination aus Lokalanästhetikum und Opioid ist Goldstandard
Schnelle Anschlagszeit, reduzierte Nebenwirkungen, 120-150 Minuten Schmerzfreiheit
Empfohlene Dosierung: 1-2,5 mg Bupivacain plus 1-5 Mikrogramm Sufentanil
Hannover Protokoll: 1ml Bupivacain 0,25% + 1ml Sufentanil
Indikationen und Überwachung
Zeitliche Indikation: Vollständig offener Muttermund, unmittelbare Geburt zu erwarten
Kritische Überwachungsanforderungen: Gleiche Standards wie bei jedem rückmarksnahen Verfahren
Anästhesist muss circa 30 Minuten vor Ort bleiben
Entscheidender Punkt: Nicht einfach verlassen nach Anlage
Alternative systemische Opioid-Analgesie
Remifentanil-Protokoll (am KSF verfügbar, wenn auch selten eingesetzt)
Susanne Greve beschrieb Szenarien ohne neuraxiale Option: Antikoagulation oder technisch unmögliche Punktion
Traditionelle Medikamente (Pethidin, Tramadol) haben ungünstige Pharmakokinetik mit langer Plasmaverweildauer beim Kind
Remifentanil als ultrakurzwirksames Opioid ist die Alternative
Standardeinstellung: 1mg auf 50ml, 1ml Bolus, 2 Minuten Sperrzeit
Kann bis wenige Minuten vor Abnabelung gegeben werden
Schneller Abbau auch beim Kind, keine relevanten Nebenwirkungen
Strenge Überwachungsvorgaben erforderlich
Kontinuierliche Pulsoxymetrie
1:1 Überwachung durch medizinisch geschultes Personal (nicht Familienangehörige)
Sauerstoff in Reichweite
Kritischer Fehler in Leitlinie: 1:1 Überwachung nicht erwähnt, ist aber entscheidend
In Hannover nur Einzelfalleinsatz wegen personeller Ressourcen
Epiduralanalgesie und Management bei Versagen zur Sectio
Evidenz zu Versagerraten
Susanne Greve referierte die 2022 systematische Übersichtsarbeit mit 34 Studien und 3.500 Patientinnen
Fast 15% benötigten zusätzliche Interventionen
33% der Patientinnen mit Periduralkatheter benötigten Zusatzmassnahmen
Nur zwei Vollnarkosen notwendig, beide aus PDK-Gruppe
Die 2024 Studie zu Patientenzufriedenheit mit 11.000 Patientinnen in über 50 Studien zeigte ähnliche Zahlen
17% aller Patientinnen mit neuraxialen Verfahren waren unzufrieden
33% der Patientinnen mit epiduralen Verfahren hatten unzureichende Schmerztherapie
Strategien und Kathetermanagement
Patientenaufklärung über mögliches Versagen ist erste Aufgabe
Leitlinie fordert individuelle Betrachtung statt pauschaler Antwort
Differenzierung nach Dringlichkeit: Eilige Sectio (innerhalb 15 Minuten) versus Nicht-Notfall
Katheter entfernen und Spinalanästhesie durchführen birgt Risiko aufsteigender Spinalanästhesie
20-Minuten-Regel: Wenn letzte Gabe unter 20 Minuten liegt, hohes Risiko für zu hohe Blockade
Wenn letzte Gabe über 20 Minuten: Katheter kann entfernt werden
Bei partieller Wirkung grösseren Bolus versuchen
Kleine Hindernisse im Periduralraum (Epiduralvenen, Septen) hindern Ausbreitung
Größerer Bolus erreicht oft doch gute Ausbreitung
Bei unilateralem Block Katheter zurückziehen funktioniert oft nicht zuverlässig
Postoperative Schmerztherapie nach Sectio
Multimodale Therapie
Susanne Greve beschrieb inadequate Schmerztherapie als Trigger für postpartale Depressionen und Beeinträchtigung des Familienlebens
Prospect Guidelines (ESA, 2023 Überarbeitung) fordern multimodale Schmerztherapie
Paracetamol und NSAR als fest angesetzte Basismedikation (nicht Bedarfsmedikation)
Können präoperativ oder intraoperativ gegeben werden
Dexamethason 8mg nach Abnabelung
Diese Massnahmen reichen nicht aus, da Sectio eine Laparotomie ist
Intrathecales Morphin
Intrathecales Morphin ist Goldstandard mit langer Wirkdauer (14-36 Stunden)
Vergleich: Sufentanil hat nur 2-4 Stunden Wirkdauer, aber schnellen Wirkungseintritt
Kombination Morphin + Sufentanil + Lokalanästhetikum ist optimal
Deutsche Bedenken zur Überwachungspflicht nach intrathecalem Morphin bestehen weiterhin
Amerikanische Leitlinien haben bereits Stufenschema nach Vorerkrankungen
Erwartung: Überarbeitete deutsche Leitlinie Anfang des Jahres wird konkretere Überwachungsvorgaben enthalten
Praktische Zubereitung: Kliniken lassen Spritzen von Apotheken vorkonfektionieren
Morphin kommt in 10mg Ampullen und muss dreifach verdünnt werden
Vermischung vor Ort nicht sicher wegen hoher Fehleranfälligkeit (10-100x Überdosierung möglich)
Standardisiertes Schema wurde vom Akutschmerzdienst erarbeitet und mit den geburtshilflichen Stationen abgestimmt.
Patientinnen erhalten postoperativ fest angesetzt Paracetamol und Ibuprofen.
Zusätzlich für die ersten 48 Stunden fest angesetzt Oxycodon (Tagine).
Erste Tablette unmittelbar bei Verlegung vom Kreißsaal.
Bei Bedarf zusätzliches Oxycodon verfügbar.
Die Stationen sind sehr zufrieden mit dem Schema.
Intrathekal Morphin und Stillsicherheit
Das aktuelle Schema funktioniert sehr gut, deshalb keine stringente Umstellung auf intrathekal Morphin.
Gute Untersuchungen zeigen, dass kindliche Gefährdung durch Oxycodon-Exposition beim Stillen in den ersten zwei Tagen mit großer Sicherheit nicht auftritt.
Mutter bildet noch nicht viel Milch und Kind trinkt noch nicht viel.
Modellberechnungen für ungünstigste Szenarien zeigen niedrigere Konzentrationen beim Kind als bei direkter Medikamententherapie.
Alternative Verfahren
TAP-Blöcke werden zunehmend angewendet, mindestens nach Sectiones in Allgemeinanästhesie.
Bei fehlenden Alternativen ist systemische Opioidtherapie (oral oder intravenös) mit festem Schema notwendig.
Hypertensive Schwangerschaftserkrankungen
Grundlagen und neue Leitlinie
Die neue Leitlinie hat zwei Schwerpunkte: möglichst frühe Erkennung betroffener Mütter und Fortsetzung der Betreuung nach Geburt, da erhöhtes Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen im späteren Leben besteht.
Antihypertensive Medikation
Methyldopa ist das traditionell am längsten verwendete Medikament, wird aber zunehmend mit psychischen Erkrankungen in Verbindung gebracht.
Alternativen sind Kalziumantagonisten oder Beta-Blocker.
Bei akuter Blutdrucksenkung sind Urapidil und Nifedipin erste Wahl, gefolgt von Dihydralazin an dritter Stelle.
Susanne Greve betonte, dass Urapidil und Nifedipin in den letzten Jahren in der Wertigkeit nach oben geschoben wurden.
Blutdruckmanagement
Im Rettungsdienst ist Senkung auf 160/110 mmHg ausreichend, um plazentare Durchblutung nicht zu gefährden.
Bei Anästhesieeinleitung soll keine Vollnarkose bei Patientin mit 230 mmHg systolischem Druck eingeleitet werden.
Die neue Leitlinie empfiehlt, bei Einleitung antihypertensive Therapie zu initiieren oder anzupassen.
Empfehlung: Verwenden Sie Medikamente, mit denen Sie sich gut auskennen (Opioide oder Antihypertensiva).
Praktisches Beispiel: Blutdruck erst mit Nitro von 220 mmHg auf 180 mmHg reduziert, dann Narkose mit zusätzlichem Opioid eingeleitet.
Zerebrales Blutungsrisiko
Ein klinischer Fall (Patientin starb an schwerer intrazerebraler Blutung peripartal) hat das Bewusstsein geschärft, dass dieses Risiko tatsächlich existiert.
Zusätzlicher Blutdruckanstieg durch Laryngoskopie erhöht das Risiko weiter.
ASS 150 mg und Regionalanästhesie
Patientinnen mit Präeklampsierisiko nehmen ASS 150 mg ab der 14.-16. Schwangerschaftswoche bis zur 34.-35. Woche.
Die Leitlinie erlaubt rückenmarksnahe Verfahren unter ASS 150 mg, da Patientinnen in der Regel jung sind und keine anatomischen Pathologien haben.
Vorsicht bei zusätzlicher Heparin-Gabe: Heparin muss deutlich länger abgesetzt werden, sicherste Option ist Anti-Xa-Bestimmung.
Eklampsie und eklamptische Anfälle
Wichtig: Keine Narkose während des akuten Anfalls einleiten.
CTG ist während eklamptischem Anfall häufig pathologisch und erholt sich in der Regel relativ schnell danach.
Ausnahme: Wenn sich CTG nicht erholt, könnte dies Hinweis auf akute Plazentalösung sein, dann Notfallsektion.
Vorgehen: Anfall durchbrechen, Blutdruck senken, Magnesiumperfusion anlegen, dann kurz durchatmen und interdisziplinär besprechen.
Regionalanästhesie bei hypertensiven Patientinnen
Möglichst regionale Verfahren anstreben.
Besonderheit: Nicht so viel Coloading wie sonst, diese Patientinnen haben in der Regel genug Volumen an Bord.
Gerinnung überprüfen, aber Thrombozytopenie ist eher Ausnahme als Regel.
Grosszügige Indikation für erweitertes Monitoring (invasive Blutdruckmessung, Bedside-Echo).
Thrombozytenzahl-Grenzwert
Amerikanische Fachgesellschaft nennt 70.000, deutsche Empfehlungen 70.000-80.000.
Wichtiger als absolute Zahl ist der Verlauf.
Patientin mit konstant 70.000-75.000, die sonst stabil ist: wahrscheinlich Spinalanästhesie möglich.
Patientin mit fallendem Trend (150.000 → 95.000): eher nicht.
Patientenzentrierte Aspekte
Susanna Stanford (Patientin und Co-Autorin) hatte Sectio unter nicht wirkender Spinalanästhesie und Periduralanästhesie.
Sie sagte irgendwann "ja" auf wiederholtes "Wirkt's jetzt?", obwohl es nicht wirkte.
Ist heute Patientenvertreterin und relativiert vieles, was für selbstverständlich gehalten wurde.
Speaker 0 betonte, dass Sektion ein abdomineller Eingriff ist und dieser Schmerz ernst genommen werden muss.
Organisatorische Aspekte
Prämedikations-Konsultationen bei elektiven Sectiones
Susanne Greve berichtet von guter Zusammenarbeit mit Geburtshelfern.
Listen mit speziellen Vorerkrankungen werden in Schwangerensprechstunde ausgegeben.
Patientinnen mit Allergien oder Missbildungen im Gesicht werden ganz früh vorgesehen.
Niedrigschwelliges Angebot: Patientinnen zum Kreißsaal schicken statt Umziehen in Prämedikationsambulanz.
Freie PDA-Sprechstunde
Neueste Errungenschaft in Susanne Greve Klinik.
Patientinnen können jeden Tag ohne Termin kommen (Zeitfenster: zwei Stunden bis 13 Uhr).
Wird sehr gut angenommen, Hebammen sind zufrieden, deutlich mehr Patientinnen werden gesehen.
Intrathecales Morphin und Pruritus
Speaker 2 fragte nach Pruritus-Problematik bei intrathecalem Morphin.
Susanne Greve antwortete: Pruritus nach Morphin soll besonders stark sein.
Nicht über IgE vermittelt, deshalb helfen keine Antiallergika.
Seit regelmässiger Anwendung von Ondansetron zur Spinalanästhesie hat Juckreiz deutlich abgenommen.
Wie genau der Ondansetron-Effekt wirkt, ist nicht 100% bekannt.



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